Soulfood

It’s been a while

Mein Stift tastet sich über das grobe Papier und bringt skizzenhaft die knorrige Treibholzwurzel, die ich mir als Objekt ausgesucht habe, in die Zweidimensionalität. Mehr als zehn Jahre lang habe ich das Holzkästchen mit meinen Kohle-, Pastell- und Bleistiften nicht geöffnet, es nur immer in Umzugskisten hinein- und an anderen Orten wieder ausgepackt, in Sichtweite wie ein kostbarer Schatz und zugleich weit weg im Schlaf des Vergessens.
Es ist Mitte März und sollte eigentlich längst so etwas wie Frühling sein, statt dessen hat es geschneit und wir waren eine fröstelnde Zufallsgemeinschaft, die sich vor dem Haus des Heidelberger Künstlers Oded Netivi versammelt hatte, neugierig wartend, was der zweitägige Zeichenkurs bewegen würde.
Während der ersten Stunden weiß ich nicht, ob mich der Anblick der pudrigen Linien aus Pigmenten und das Spiel mit kohleschwarzen Schatten glücklicher macht, oder der harzig trockene Geruch des Ateliers, das über seine drei knarzenden Stockwerke hinweg sofort ein zeitloser Ort des Willkommenseins für mich geworden ist. Als würde es uns alle, die wir kommen und gehen, malen und Teetrinken und unsere Geschichten teilen, mit gütiger Wärme und wohlwollender Neugier umgeben.

Nach meiner anfänglichen Euphorie kämpfe ich mit der Perspektive, mit dem „Wissen“ über die Welt, das mir Streiche dabei spielt, die Dinge für einen Moment nur so zu sehen, wie sie sich mir zeigen: schräg, verkürzt, verborgen, seltsam oder unterbrochen, scheinbar unlogisch und widerspenstig ungewohnt. Die Worte von Oded sind inspirierend, nicht nur für’s Malen: „Die meisten Menschen verfügen über die nötige Motorik, um zeichnen oder malen zu können. Was Du lernen musst, ist SEHEN.“

Dann folgt meine Lektion in Sachen Loslassen. Es ist verlockend, an einem Bild stundenlang zu arbeiten – aber wenn Du ehrlich bist, merkst Du genau, wann es fertig ist. Das ist nicht immer der gleiche Augenblick, in dem alle Details ausgearbeitet sind, es ist der Moment, wenn Deine Künstlerseele mit dem „Ausatmen“ fertig ist. Dann verschwendest Du Zeit, während Du innerlich schon wieder „einatmest“ und nicht mehr ganz bei der Sache bist. Es dann gutsein zu lassen und stattdessen ein neues, leeres Blatt zu greifen – das ist neu für mich… wer auch nur den Hauch eines perfektionistischen Wesens hat, wird seinen Kampf damit haben. Aber die Wahrheit ist, dass man nicht mehr authentisch ist, wenn man länger an einem Bild arbeitet, als es durch einen „atmet“. Ich habe an diesem Wochenende gelernt, diesen Moment zumindest nicht zu ignorieren.

Es hat unsagbar gutgetan, einer Welt aus Pixeln, High-End-Print und werbewirksam bedruckten Farbtuben zum Trotz in einem staubigen Atelier zu stehen und zu erleben, wie in wenigen Minuten aus Pigment-Pulver und Leinöl, verrieben mit einem filigranen Metallspachtel, eine cremig satte Farbe entsteht, die den Künstler auch wieder Handwerker und Meister sein lässt. Jemand der weiß, welche Bestandteile nötig sind und wie sie wirken werden, vor Jahrhunderten wie heute: Herstellen, Anrühren und Auftragen, ohne am Ende eine leere Aluminiumtube zu hinterlassen – ich mag diese Vorstellung ungemein, denn sie bewahrt der digitalen Welt einen zeitlosen und kompromisslos echten Ort, wo Du nur Du selber bist, nicht mehr und nicht weniger.

Wenn ich mein Holzkästchen mit den Zeichenstiften jetzt wieder an seinen Platz stelle, so habe ich doch immerhin den Zauberschlaf gebannt. Aber ich glaube, es zieht mich zur Farbe und zur Leinwand hin …

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